Bierbrauen ist in Nesselwang Frauensache!

aus Nesselwang (Allgäu)

eingestellt am 16.06.2016 von Pirmin Joas

„Ich versuche mir Gedanken zu machen, wie ein Bier früher geschmeckt haben könnte. Ich will eines, das Ecken und Kanten hat, damit es Freude macht, wenn man es trinkt.“ Deshalb experimentiert Braumeisterin Stephanie Meyer im elterlichen Betrieb, dem „Brauerei-Gasthof Hotel Post“ in Nesselwang, einem kleinen idyllischen Ort im Ostallgäu. Da stand schon ihr Urgroßvater am Sudkessel und „irgendwie wird das Bierbrauen weitervererbt, da kommt man nicht aus“, meint ihre Schwester Kathrin Meyer. Sie ist Biersommelière und Filmemacherin. Zum Jubiläum des Reinheitsgebots hat sie für das Bayerische Fernsehen eine „Liebeserklärung an das Bier“ produziert.

Auch wenn es heute ungewöhnlich erscheint, dass Frauen Bier brauen - es war nie eine Männerdomäne. Früher ließen diese beim Backen ein Stück Brot übrig und brauten daraus für den Hausgebrauch Bier. Erst als es im Mittelalter immer größere Städte gab, entstand die Institution der Brauerei und die Männer traten in den Vordergrund. Selbst das Bier an sich ist weiblich: Für’s Brauen wird nur die weibliche Hopfenpflanze verwendet. Haben denn Frauen beim Brauen ein anderes Händchen? „Männer stellen oft extremere Biere mit hohen Bitterwerten her. Frauen dagegen sind neugierig und viel offener für Geschmacksabenteuer“, meint Kathrin Meyer. Die Zutaten sind durch das Reinheitsgebot jedoch stark begrenzt: Wasser, Hopfen, Hefe und Gerstenmalz – mehr nicht, fanden Bayerns Herzog Wilhelm IV. und dessen Bruder, Herzog Ludwig X., im Jahr 1516 und erließen sozusagen das erste „Lebensmittelgesetz“ der Welt.

Genau innerhalb dieser Schranken beginnt die große Kunst und das eigentliche Handwerk: Bevor die junge Braumeisterin Stephanie Meyer ein Bier braut, hat sie ein bestimmtes Bild im Kopf, wie es schmecken, aussehen und riechen soll. Danach wählt sie die Rohstoffe aus den vielen verschiedenen Hopfen-, Malz- und Hefesorten aus. Auch welches Wasser sie verwendet, hat einen Einfluss auf den Geschmack. Das Endergebnis ist aber nur zum Teil planbar. Manchmal entsteht ganz durch Zufall ein tolles Produkt, wie zum Beispiel das Hopfen Royal, ein kalt gehopftes Edelbier der Brauerei, dem sogar der Nesselwanger „Berggeist“ innewohnt. Das Starkbier wird mit Bergquellwasser vom Hausberg, der Alpspitze, gebraut, so wie es früher schon die fünf Brauereien am Ort gemacht haben.

Neben Kreativität und Perfektion braucht Meyer viel Geduld. Es können auch mal bis zu zwei Jahre vergehen, bis das Ergebnis in der Flasche ist, so wie beim „Allgäuer Kräutermärchen“. Ein Kunde der Brauerei wollte gerne ein Bier mit Kräutern haben. So versetzte Meyer es mit Brennnesseln, Holunderblüten und Mädesüß, alles heimische Kräuter. Die „Brennnessel“ ist sogar im Ortsnamen von Nesselwang verewigt. Für Stephanie Meyer war das Experimentieren eine Art Schlüsselerlebnis: „Da hab ich verstanden, dass Brauen nicht nur das Viereck aus Malz, Hopfen, Gerste und Hefe ist, sondern es Spaß macht, ein Bier immer wieder neu zu entdecken.“ Wegen den Kräutern darf sich das Kräutermärchen nach dem Reinheitsgebot aber nicht Bier nennen, trinkt sich aber natürlich wie eines. Stephanie Meyer wäre ein Natürlichkeitsgebot deshalb lieber: „Das Reinheitsgebot ist schon gut. Aber damit nutzen wir von 10.000 Jahren Biergeschichte eben nur 500. Kräuter, Früchte oder Gewürze hat man immer schon dem Sud zugegeben. Wenn ein Bier sauer geworden ist, konnte man das damit gut überdecken. Das Zumischen sollte mit dem Reinheitsgebot unterbunden werden.“ Künstliche Extrakte oder Sirupe, wie bei den sogenannten Alkopops, hätten im Bier aber wirklich nichts verloren.

Angefixt vom handwerklichen Brauen, gründeten die Meyer-Schwestern 2013 die „Brau-Manufactur Allgaeu“ und lagen damit voll im Trend. Zu dieser Zeit schwappte gerade die Welle aus den USA nach Deutschland, wo schon seit Jahrzehnten Experimentierfreudige zum Teil in Garagen angefangen hatten, Biere für Genießer herzustellen, das sogenannte „craft beer“. Der Gerstensaft war hierzulande dagegen zum reinen Durstlöscher geworden – von Vielfalt keine Spur mehr. Die Schwestern wollten das ändern. Mittlerweile haben sie zwölf Biersorten im Repertoire, dazu gehören natürlich auch die Klassiker der Familienbrauerei wie das Nesselwanger Dunkel oder Nesselwanger Gold. Vor allem für ihre Craft-Biere, wie die Braukatz Red Ale mit Karamell- und Ale-Malzen eingebraut oder die hopfenbetonte Braukatz Hop Cat, schlägt das Herz der Schwestern. Übrigens beides zu 100 Prozent Biere nach dem Reinheitsgebot. Kein Computer kann solche Sorten brauen, sondern nur die Fachfrau selbst. Denn neben der Kombination der Rohstoffe ist auch die Art des Brauens entscheidend für den Geschmack. Der Hopfen wird beim Craft-Bier nicht nur genutzt, um dem Getränk eine bittere Note zu geben. Während der Lagerung wird dem Jungbier erneut Hopfen hinzugegeben. So gibt dieser seine Öle langsam ab - und das Bier bekommt fruchtig-blumige Aromen. Dass sie ihr Handwerk beherrschen, bekamen die beiden „Braukatzen“ übrigens erneut beim „The Dublin Craft Beer Cup 2016“ bestätigt. Bei dem wichtigen internationalen Wettbewerb wurden einige ihrer Biere mit zwei Silber- und drei Bronzemedaillen ausgezeichnet. Da scheint wirklich das Bier-Gen durchgeschlagen zu haben.

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